Talk Tourism #4: Rebellen im Tourismus gesucht – und gefunden
28.10.2024
Unter dem Motto „Rebellen im Tourismus gesucht“ kamen am 09. und 10. Oktober 2024 im House of Communication in München ca. 100 Vetreter:innen von Destinationen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen. Das Ziel: Den Status quo challengen, Lösungen für die Herausforderungen von heute und morgen finden und die Branche nachhaltig verändern.
Inhaltlich ging es während des zweitägigen Events vor allem um die Schwerpunktthemen KI und Datenmanagement, Marke und Marketing sowie Nachhaltigkeit und Transformation. Dabei wurde der Transformations-Track mit vier aufeinander aufbauenden Sessions durch PROJECT M gestaltet und moderiert.
Zentrale Ergebnisse des Talk Tourism #4 sind in einem Whitepaper zusammengefasst, welches hier zum Download zur Verfügung steht.
Session 1 / Vortrag Barabara Radomski: Gelebte Nachhaltigkeit als Schlüssel der Gemeinwohlorientierung
Barbara Radomski, Geschäftsführerin der BayTM betonte: Transformation ist Chefsache! Sinngebung und Umsetzungswille müssen vom Führungsteam kommen und von Team und Schlüsselpartnern der Destination mitgetragen werden. Dabei braucht es aus ihrer Sicht eine Neudefinition der Kennzahlen für die Erfolgsmessung im Tourismus. Die aktuellen Maßstäbe in den amtlichen Statistiken tragen dem wachsenden Anspruch an DMOs bzgl. Lebensraummanagement und Gemeinwohlorientierung nicht Rechnung. Vielmehr fokussieren sie Aspekte der ökonomischen Entwicklung, ohne ökologische und soziale Faktoren zu berücksichtigen.
Die Speakerin ist überzeugt: Die tatsächliche Nachfrage nach nachhaltigen, authentischen und einzigartigen Produkten und Erlebnissen wird durch entsprechende Angebote entfacht – nicht andersherum. Vor allem angesichts des „Attitude-Behavior-Gaps“ liegt die Verantwortung aus Sicht von Barbara Radomski bei der Branche: „Angebot schafft Nachfrage.“ Nachhaltigkeit bedeutet dabei nicht zwangsläufig Verzicht. Die Branche kann und muss Impulse setzen, um Nachhaltigkeit als Mehrwert zu gestalten.
Session 2 / Workshop: Transparenz und gelebte Partizipation sind die Grundpfeiler eines gemeinwohlorientierten Tourismus
Im Workshop „Auf der Suche nach dem Brennstoff fürs Gemeinwohl“ stellten Judith Vollheim und Stephan Grapentin mit den Vertreter:innen der Destinationen fest, dass sich Destinationen ihrer Verantwortung für die Region und deren Entwicklung sehr bewusst sind. Dennoch sehen sie sich nicht alleinverantwortlich für den Bereich Lebensraummanagement. Als Querschnittsbranche kann eine gemeinwohlorientierte Entwicklung nur in Synergie aller beteiligten Akteure, Dezernate und politischen Gremien entstehen.
Je nach Typ und Reifegrad der Destination stehen dabei jedoch unterschiedliche Herausforderungen bzgl. des Gemeinwohls im Fokus: Bei Destinationen mit weniger touristischem Volumen sind dies eher transparente Prozesse in der Binnenkommunikation (mit Leistungsträgern, Finanzgebern, Politik etc.). Bei etablierteren Destinationen sind diese genau die Felder, in denen bereits (erfolgreiche) Maßnahmen ergriffen wurden. Hier stehen hingegen die Beteiligung von Bevölkerung und Gästen in die Lebensraumgestaltung als Herausforderung im Fokus – v.a. hinsichtlich der Schwerpunkte solidarischer und gerechter Prozesse sowie ökologischer Nachhaltigkeit.
Gefährdungsfaktoren für eine gemeinwohlorientierte Arbeit sind aus Sicht der DMO insbesondere Partikularinteressen und fehlende Kontinuität der Kommunalpolitik, eine fehlende Wertschätzung des Wirtschafts- und Entwicklungsfaktors Tourismus sowie Handlungsdruck durch bspw. punktuellen Overtourismus statt Gestaltungsfreiraum. Gute Ansätze existieren dafür bereits aus verschiedenen Destinationen, lassen sich jedoch meist nur bedingt auf die individuellen An- und Herausforderungen weitere Destinationen übertragen.
Session 3 / Panel-Diskussion: Wert stiften durch gelebte Werte
In unserem Panel zum Thema „Neue Motive im Tourismus“ diskutierten Petra Percher (Change Maker Hotels), Thomas Jahn (Bad Aibling) und Jürgen Schmude (Bayerisches Zentrum für Tourismus) über den Wandel in der Nachfrage nach touristischen Angeboten und wie Leistungsträger:innen und Destinationen darauf reagieren können bzw. sollten. Sie stellten fest:
Reisen ist und bleibt ein wichtiges Konsumgut. Die Pandemie hat kurzfristig Verhaltens- und Nachfragemuster verschoben, inzwischen haben sich diese aber bereits wieder normalisiert. Die Corona-Krise war nicht der vielseits erhoffte Wendepunkt für nachhaltigeres Reisen. Die Diskutant:innen stellten fest, dass sich Gäste vermehrt authentische Erlebnisse, gelebte Nachhaltigkeit und Achtsamkeit wünschen. Petra Percher brachte es auf den Punkt: „Werte sind die neuen Sterne.“.
Durch enge Haushalte wächst die Aufgabe, Orte (auch) durch Tourismus als attraktive Wirtschaftsstandorte zu positionieren. Zentral dafür ist eine Beteiligung der Bevölkerung und relevanter Stakeholder in einem transparenten und offenen Prozess. Als Stellschrauben für eine erfolgreiche Entwicklung nannten die Panelisten kommunale Schlüsselinvestitionen zur Anregung von Folgeinvestments, Transparenz und ehrliche Kommunikation sowie die Einbindung der Kommunalpolitik in die strategische Entwicklung und die Vermittlung des Gemeinwohlfaktors des Tourismus.
Session 4 / Workshop: Der Visitor Economy-Ansatz nimmt alle Zielgruppen der Freizeitwirtschaft ganzheitlich in den Fokus
Cornelius Obier betonte im Workshop „Vom Fremdenverkehr über den Tourismus zur Visitor Economy – bekommt der Tourismus ein neues Selbstverständnis?“ die Wichtigkeit, positive Effekte des Tourismus für Politik und Öffentlichkeit klarzumachen: „DMOs haben bei knappen Ressourcen und ohne Mandat kaum Kapazität für Lebensraummanagement. Umso wichtiger ist es, die Bevölkerung als zentrale Zielgruppe zu betrachten – sie nutzt das regionale Angebot und sorgt so für Wertschöpfung. Der ganzheitliche Ansatz der Visitor Economy umfasst diese Perspektive, was im bisherigen Tourismusverständnis oft fehlt.“
Der Einschätzung von Cornelius Obier zufolge, können DMOs Impulsgeber für die Lebensraumgestaltung sein, aber nicht die Hauptverantwortung dafür tragen. Bisher ist ein Management- und Aufgabenmodell, differenziert für verschiedene Destinationstypen, jedoch noch nicht entwickelt. Die relevanten Akteure im Stadt- und Regionsmanagement ordnen Tourismusorganisationen die neuen Aufgaben nicht zu, Schnittstellen sind oft nicht definiert. Für ein erfolgreiches Destinations- und Lebensraummanagement braucht es eine Zusammenarbeit aller relevanten Dezernate und Branchen.